Digitalisierung der Arbeitswelt

Der Wandel durch Digitalisierung und Automation

Wer kennt ihn nicht, den Abtrittanbieter, den Hundepeitscher oder auch den Kinoerklärer? Keine*r? Denn diese Berufe hat ihr Schicksal schon längst ereilt – sie sind ausgestorben. Derzeit befeuert insbesondere die Digitalisierung den Wandel der Arbeitswelt und damit potentiell das Verschwinden nicht weniger Berufe.

 

(ps) KI-Forschung und Robotik ermöglichen es, bereits heute selbst in vormals kaum technisierten Berufen diverse Aufgaben abzugeben, etwa in der Altenpflege oder der Gastronomie. Andere Berufe könnten sogar ganz von einem Computerprogramm übernommen werden. Jede*r Achte bangt deswegen schon heute um den Arbeitsplatz.

In Grömitz, einem kleinen Küstendorf mit gut 7.000 Einwohnern, befindet sich direkt am Ufer das Hafenrestaurant. In das gepflegte Gebäude neo-maritimen Stils hat sich das Restaurant mit uriger Seefahrtsdekoration hineingekuschelt. Hier, 45 Kilometer nördlich von Lübeck, gibt es aber nicht nur Fisch mit Krabben und Zitrone, sondern auch "Bella", den Serviceroboter mit knuffigem Katzengesicht. Bella, wie das Personal sie nennt, kann selbstständig durch das Restaurant navigieren und bringt Speisen und Getränke an die Tische. Damit ist Bella zwar eher ein automatisierter Servierwagen und noch keine Roboterkellnerin, aber ein Anfang dahin ist gemacht. In immer mehr Städten kommt das Modell zum Einsatz, von Walsrode bis ins bayrische Bad Staffelstein. 

"BellaBot", wie der Servierwagen offiziell heißt, nimmt derzeit noch hauptsächlich Trägertätigkeiten wahr. In der Altenpflege ist man – jedenfalls in der Forschung – schon einen Schritt weiter: am Garmisch-Partenkirchener Forschungszentrum für Geriatronik fährt bereits der Prototyp des Pflegeroboters "Garmi" erfolgreich durch die Zimmer – ein Roboter, der, wenn serienreif, zum Verbleib beim Patienten zuhause vorgesehen ist. Dort soll er als Pflegeassistenz und Alltagshilfe zum Einsatz kommen – sogar Einkaufen soll Garmi eines Tages können. Und "richtig" servieren, mit Teller hinstellen und Getränk einfüllen, kann Garmi sogar heute schon. 


"Was digitalisiert werden kann, wird es auch"

Noch sind solche Projekte eher Einzelfälle, aber sie machen deutlich: Es kommen Veränderungen einer neuen Qualität auf den Arbeitsmarkt zu, die vor kaum einem Beruf haltmachen und bis in unsere Wohnzimmer vordringen. Dabei stellen Roboter lediglich die spektakuläre Spitze dar – in der Breite werden die Prozesse deutlich geräuschloser ablaufen, wenn Arbeitsfelder und Aufgaben fürderhin von Computerprogrammen bzw. Algorithmen, also neuen Technologien, übernommen werden. Wie einschneidend diese Veränderungen – die digitale Transformation –, werden können, hängt sehr von der Tätigkeit bzw. dem Beruf ab – jedoch scheint bislang zu gelten, was Carly Fiorina, ehemals CEO von Hewlett-Packard, bereits im Jahr 2000 artikulierte: "Glauben Sie mir: was digitalisiert werden kann, wird es auch."

Das von der Bundesagentur für Arbeit getragene Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat bereits vor einiger Zeit ein Online-Tool veröffentlicht, mit dessen Hilfe man sehen kann, zu welchem Grad ein Beruf von Digitalisierung und Automation betroffen ist und sein wird. Ziel sei es, "anschaulich dar[zustellen], wie sich der Beruf verändert und welche Anpassungen z.B. durch Weiterbildung für Beschäftigte notwendig werden", sagt Ina Benad, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Gotha. Dem zugrunde liegt die Annahme seitens der Arbeitsagentur, dass Berufe "eher selten" verschwänden – "sie verändern sich." Diese Einschätzung wird jedoch nicht überall geteilt.

Selbst beim Online-Tool der IBA sind Berufe zu finden, die zur Gänze digitalisierbar seien – etwa Finanzbuchhalter*innen oder Lagerarbeiter*innen wären völlig durch Algorithmen bzw. Maschinen ersetzlich und beispielsweise statt Post- und Paketboten werden heute schon Drohnen erprobt. In der vor kurzem erschienenen EY-Jobstudie 2021 konstatieren 36 Prozent der Beschäftigten, dass Teile ihres Jobs bereits von neuen Technologien übernommen werden. Mit Blick auf Digitalisierung und technologische Veränderungen hat im Schnitt jede*r achte Beschäftigte Sorgen um die berufliche Zukunft. In der Banken-, Immobilien- und Versicherungsbranche ist dies besonders ausgeprägt: Hier geben bereits 46 Prozent der Beschäftigten Teile ihrer Arbeit an neue Technologien ab, und jede*r Fünfte sorgt sich um den Job.


Unterschiedliche Zukunftsvisionen

Die digitale Fachzeitschrift "Personalwissen" hat sich in einem umfänglichen Artikel Gedanken über "Zukunftslose Berufe" gemacht und zeichnet dabei auch eine düstere Vision der zukünftigen Gesellschaft. "Es ist davon auszugehen, dass mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue hinzukommen", heißt es dort. Beispielsweise das Bundesarbeitsministerium geht dagegen von einem Beschäftigungsanstieg um eine Viertelmillion bis 2030 aus. Der Arbeitsplatzverlust beträfe laut "Personalwissen" nicht nur technisch einfache Arbeiten wie Fließbandtätigkeiten, sondern ebenfalls etwa Anwälte, Richter oder Steuerberater, deren Tätigkeiten Algorithmen ausüben könnten. Die Botschaft: Auch höher- und hochqualifizierte Berufe, die heute noch beispielsweise auf einem umfangreichen Studium aufbauen, sind nicht zwangsläufig sicher.

Bei der Beschreibung der bedrohten Berufe wird jedoch auch deutlich, dass die Einschätzungen mit einer gewissen Erwartung über die zukünftige Gesellschaft verknüpft ist. Einzelhandelskaufleute werde es bald nicht mehr geben, weil alle nur noch online einkaufen – das Innenstadtsterben stehe bevor. Und etwa Juweliere würden aussterben, weil alle nur noch günstigen Modeschmuck wollen. Obschon es derlei Tendenzen gibt, ist durchaus fraglich, ob sich die worst-case-Szenarien durchsetzen müssen. Zwar gibt es z.B. das Innenstadtsterben und den wachsenden Online-Handel, aber es gibt eben auch belebte, florierende Innenstädte – selbst in kleinen Städten und selbst in der sogenannten Provinz. Hier darf man also fragen, ob wirklich alles, was der digitalen Transformation zugeschrieben wird auch immer wirklich ursächlich bei dieser liegt.

Der TÜV Nord betont in seiner Einschätzung zur digitalen Transformation die positiven Aspekte: "auf lange Sicht birgt [sie] vor allem Vorteile für den Arbeitsmarkt: Einige Experten gehen sogar davon aus, dass mehr neue Jobs entstehen als bisherige wegfallen." Weiterhin würde das Wegfallen belastender körperlicher Arbeit mehr Freiheiten bedeuten, und "nicht-digitalisierbare Sektoren wie Soziales und kreative Tätigkeiten" gewännen an Bedeutung. Ferner hängen die Entwicklungen auch von den Entscheidungen des*der Einzelnen ab: "Wenn Kunden ein handgebackenes Brot vom Bäcker mehr wertschätzen als ein industriell gefertigtes Brot, dann wird es auch weiter Bäcker geben", nennt Katharina Dengler vom IAB als Beispiel. 


Am Wandel aktiv teilnehmen

Es zeigt sich, dass Digitalisierung und Automation der Arbeitswelt im Moment noch sehr unterschiedliche Ergebnisse zeitigen. Auch darüber, ob für die Zukunft viele Arbeitslose oder viele neue Jobs zu erwarten sind, herrscht Uneinigkeit. Während manche Branchen sich vermutlich auch langfristig zur Gewinnerseite zählen dürfen – etwa im MINT-Bereich oder bei Ausbildungen wie bspw. als Industriemechatroniker*in, Fachinformatiker*in oder, natürlich, Kaufleute für Digitalisierungsmanagement –, gibt es andere Branchen, deren Anpassungsprozesse deutlich mehr Arbeit bedeuten. Das heißt aber keineswegs, dass dort zwangsläufig alle Arbeitsplätze wegfallen werden. 

Sowohl für Betriebe wie auch für die Beschäftigten bedeutet dies allerdings, am Wandel aktiv teilzunehmen und sich so gut wie möglich darauf vorzubereiten. "Unternehmen", betont der TÜV, "müssen sich nun mehr als jemals zuvor darauf einstellen, alte Prozesse neu zu strukturieren, um mithalten zu können." Die "vielschichtigen Auswirkungen" der digitalen Transformation könne man nicht ignorieren, sonst bliebe man "im schlechtesten Fall auf der Strecke." Parallel sei für die Beschäftigten, "darin sind sich die Experten einig, vor allem die Bildung" wichtig. Weiterbildungen seien "ein wichtiges Instrument für eine gelungene Digitalisierung." Auch für den allgemein selten genutzten aber jeder und jedem jährlich zustehenden Bildungsurlaub gibt es gute Seminarangebote. 


Berufsorientierung für Schüler*innen

In einer Situation wie dieser, in der sich praktisch alles im Wandel befindet, wird die Berufsorientierung zur besonderen Herausforderung. Vor jedem anderen Hinweis gilt aber nach wie vor: Sucht, was euch interessiert und was euch Spaß macht. Anders geht es nicht. Wenn allerdings das Interessenfeld gefunden ist, sollte die Frage nach den Zukunftsaussichten des potentiell erwählten Berufes nicht fehlen. In vielen Fällen gibt es bereits modernisierte bzw. zukunftsfest gemachte alternative Ausbildungen, bekannt ist bspw. der Mechaniker, der heute weitgehend vom Mechatroniker abgelöst ist. Zuweilen erhalten sich "altmodische" Berufe auch in speziellen Nischen, nach denen man nur suchen muss: Beispielsweise der schon lange totgesagte Buchbinder überdauert die Zeiten in den Universitätsbibliotheken, andere Berufe, wie der Büchsenmacher (Gewehrmanufakturist) oder Sattler sind größtenteils in den hochpreisigen Luxusbereich abgewandert – aber es gibt sie noch. 

Auch im Bereich der Studiengänge finden sich inzwischen viele Spezialisierungen und Modernisierungen. Die heutzutage so wichtigen aber kaum beachteten Geisteswissenschaften beispielsweise binden als Studiengang "Digital Humanities" die Informatik mit ein, die "brotlose Kunst" Philosophie wird etwa in Magdeburg interdisziplinär mit den Neurowissenschaften verbunden. Zwar sind Berufe, die ein Studium voraussetzen, generell etwas weniger vom Verschwinden in Algorithmen bedroht, doch auch hier macht die Transformation keine Ausnahme. 

Hilfreich ist ferner immer der Besuch einer Berufsmesse. Zum einen sind viele potentielle Ausbildungsbetriebe und Universitäten an einem Ort versammelt, zum anderen kann man das Thema "Zukunftsaussichten" gezielt ansprechen. So finden sich auch leicht neue Anregungen und Ideen.


Quellen: 

https://www.personalwissen.de/auszubildende/ausbildung/berufsausbildung/berufe-zukunftslos/  

https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/gotha/2021/003 

https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Meldungen/2016/arbeitsmarktprognose.html 

https://www.boersenblatt.net/news/literaturszene/wird-ki-kuenftig-meinen-job-uebernehmen-165841 

https://oe1.orf.at/artikel/689494/Wen-kann-kuenstliche-Intelligenz-ersetzen 

https://www.ey.com/de_de/news/2021/10/ey-jobstudie-2021 

https://www.tuev-nord.de/de/unternehmen/bildung/wissen-kompakt/digitalisierung-im-mittelstand/digitale-transformation/ 

https://www.hp.com/hpinfo/execteam/speeches/fiorina/ceo_ctea_00.html 


P.S.: Ein Abtrittanbieter ging im 18. und 19. Jahrhundert mit Holzeimern und einem sehr weiten Mantel durch die Straßen der Städte und war damit gewissermaßen ein mobiler WC-Anbieter. Hundepeitscher hatten bis ins 19. Jahrhundert die Aufgabe, bellende Hunde aus Kirchen zu vertreiben. Ein Kinoerklärer hatte in der Ära der Stummfilme Anfang des 20. Jahrhunderts die Aufgabe – wenigstens in Berlin – die gezeigten Szenen zu beschreiben und in eine dramatische Erzählung zu verwandeln.

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