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Studium

„Stolpern wir noch?“

Gießener Studierende präsentieren Dokumentarfilm

Collage: Foto Stolperstein: Sarah Carneim Foto von Filmpremiere: Frederik Lange Im Bild v. l.n r.:  Louise Lenth, Sarah Carneim, David Hopper, Sascha Schmidt

Seit mehr als 30 Jahren erinnern Stolpersteine auf den Gehwegen vor Hauseingängen an Menschen, die zu Opfern der Nationalsozialisten wurden. Welche Wirkung hat dieses Gedenkprojekt heute auf uns? „Stolpern wir noch?“ so der Titel des Dokumentarfilms, den drei Studierende der Justus-Liebig-Universität in Gießen Ende November im Kinocenter der mittelhessischen Stadt an der Lahn präsentiert haben.

 

(rb) Der Film von Sarah Carneim, David Hopper und Louise Lenth entstand im Rahmen des Masterstudiengangs „Fachjournalistik Geschichte“. Betreut wurde er von dem Gießener Historiker Dr. Florian Hannig und dem Frankfurter Filmemacher Sascha Schmidt.

Das Filmteam erzählt die Geschichte der Stolpersteine vor allem in Hessen. Ehrenamtliche, Historikerinnen und Historiker, ein emigrierter Angehöriger, für dessen Familie Stolpersteine verlegt wurden, aber auch der Vogelsberger Künstler und Stolperstein-Projektgründer Gunter Demnig kommen zu Wort.

Mahnmale in Messing

Stolpersteine gibt es inzwischen in fast jeder deutschen Stadt: Dort, wo Menschen ihr Leben gelebt haben - bevor sie im Nationalsozialismus verfolgt, entrechtet, deportiert und ermordet, zur Flucht oder in den Freitod getrieben wurden. Ihr Name, das Datum ihrer Deportation, der Ort der Verschleppung und der (mutmaßliche) Todestag: eingraviert auf 10 x 10 cm großen Messingplaketten.

Bundesweit gibt es Patinnen und Paten für die Steine, Menschen, die sie ehrenamtlich pflegen. An vielen Schulen übernehmen Schülerinnen und Schüler diese Aufgabe. Annika Wagner, angehende Lehrerin, greift ebenfalls regelmäßig zu Schwamm und Reinigungsmittel, um die Steine zu säubern. Sie ist eine der Hauptpersonen, die von der Kamera begleitet werden und über das sprechen, was sie tun.

Mit ihr beginnt der Film „Stolpern wir noch?“. In der Gießener Innenstadt ist sie zu sehen, wie sie Stolpersteine putzt. Sie ist überzeugt, dass die Steine durchaus eine Wirkung haben, „etwas auslösen können“, auch bei denen, die niemals z.B. eine Gedenkstätte für NS-Opfer besuchen würden. „Aber über die Stolpersteine, da werden sie drüber stolpern, da haben sie keine Chance zu entkommen, weil sich die Stolpersteine in ihrem Alltag befinden. Und wenn sie da jeden Tag drüber stolpern und nie hingucken und dann aber einmal hingucken und sich damit beschäftigen, dann reicht das meiner Meinung nach schon. Oder wenn es sie auch nur stört.“

Stolpersteine - eine angemessene Form des Gedenkens?

Stolpersteine als Teil unserer Erinnerungskultur sind umstritten. Auch darauf geht der Film ein, nutzt dazu u.a. Archivmaterial vom Fernsehen. Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist in einem älteren Interview zu sehen. Sie ist eine vehemente Gegnerin der Stolpersteine, die für sie eine unwürdige Form des Gedenkens an die Opfer darstellen, wenn darauf ohne Weiteres getreten und gespuckt werden könne.

Der Künstler selbst, Gunter Demnig, dagegen erzählt in seiner Werkstatt in Alsfeld-Elbenrod, was ihm auffiel, als er die Ersten, die sich für sein Werk interessierten, beobachtete: „Wenn du lesen willst, musst du eine Verbeugung machen.“

Der Film beobachtet, er bewertet nicht. Aber er berührt.

Stolpern wir noch? Der Film gibt keine Antwort auf diese Frage. Er endet, so wie er begonnen hat, mit seiner beobachtenden Perspektive und unbeweglichem Abstand vom Boden. Von den Jugendlichen, deren Stimmen zu hören sind, wie sie sich über das unterhalten, was sie auf den Stolpersteinen zu ihren Füßen lesen, sind nur die Beine zu sehen. - Vielleicht ist es für manche auch gerade der Abstand, der sie - innerlich - stolpern lässt. Oder wie Gunter Demnig es einmal in einem Interview formuliert hat: „Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“

Weitere öffentliche Vorstellungen des Films sind in Planung. Die Termine werden auf der Website der Fachjournalistik Geschichte bekannt gegeben: https://www.uni-giessen.de/de/fbz/fb04/institute/geschichte/fachjournalistik 

 

Quellen:

Titelbild (Collage): Foto Stolperstein ©Sarah Carneim, Foto von Filmpremiere ©Frederik Lange

(Im Bild v.l.n.r.: Louise Lenth, Sarah Carneim, David Hopper, Sascha Schmidt)

Pressemitteilung Nr. 168 , 15.11.2024: Prof. Dr. Ulrike Weckel, Professur für Fachjournalistik Geschichte
Historisches Institut der JLU Gießen
https://www.uni-giessen.de/de/ueber-uns/pressestelle/pm/pm168-24dokustolpersteine 

hessenschau.de: Rebekka Dieckmann: "Stolpern wir noch?" Gießener Studierende drehen Dokumentarfilm über Stolpersteine https://www.hessenschau.de/kultur/stolpern-wir-noch-studierende-aus-giessen-drehen-film-ueber-stolpersteine-v1,stolpersteine-dokumentarfilm-giessen-100.html 

NDR, Hamburg Journal: Stolpersteine erinnern an Opfer des Nationalsozialismus

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Stolpersteine-erinnern-an-Opfer-des-Nationalsozialismus,stolpersteine123.html

Initiative Stolpersteine:  https://www.stolpersteine.eu/

 

 

16.12.2024

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