Unterricht und Schule

Boom von Privatschulen und -hochschulen

Die Geldelite unter sich?

Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland ein funktionierendes System staatlicher Schulen und Hochschulen, das von allen Bevölkerungsschichten genutzt wurde. Nachdem das Gymnasium in den letzten Jahrzehnten zur neuen "Volksschule" wurde und auch die Universitäten entsprechend anwuchsen, koppelt sich nun die Geldelite vom öffentlichen Bildungssystem ab und distinguiert sich über private Bildungseinrichtungen. Für die staatlichen Angebote kann dies nichts Gutes bedeuten.


(ps) Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, war im Wintersemester 2021/22 „gut jede oder jeder zehnte Studierende an einer privaten Hochschule eingeschrieben“ – damit „besuchten knapp 342.600 Studierende private Hochschulen. Das waren nahezu zwölf Mal so viele wie im Wintersemester 2001/02“. Somit habe sich „der Anteil der an privaten Hochschulen Studierenden an den Studierenden insgesamt fast verzehnfacht: Von 1,6 % im Wintersemester 2001/02 auf 11,6 % im Wintersemester 2021/22“, so Destatis. Auch das Angebot an privaten Hochschulen habe sich mehr als verdoppelt, von 49 im Wintersemester ‘01/02 auf 114 im Wintersemester ‘21/22. Besonders gefragt unter den Studierenden sind private Fachhochschulen.

Betreuungsschlüssel an öffentlichen Hochschulen besser

Dieser Trend findet statt, obschon der Betreuungsschlüssel an öffentlichen Hochschulen besser ist als an den privaten. So betreue „eine Lehrkraft im Wintersemester 2021/22 an privaten Hochschulen im Schnitt 36,4 Studierende, an öffentlichen Hochschulen dagegen nur 14,6 Studierende.“ Allerdings gebe es hier große Diskrepanzen zwischen den Fächergruppen und Hochschularten. Dennoch war in der mit großem Abstand häufigsten Fächergruppe an privaten Hochschulen, den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit 69,5 Prozent aller eingeschriebenen Studierenden, die Betreuungsrelation „mit durchschnittlich 53,4 Studierenden je Lehrkraft doppelt so hoch wie an öffentlichen Fachhochschulen, wo 25,7 Studierende auf eine Lehrkraft kamen.“ An der Betreuung selbst kann also die Popularität der privaten Hochschulen nicht liegen.

Privatschulen ebenfalls auf dem Vormarsch

Auch die Privatschulen verzeichnen wachsende Beliebtheit. Vom Schuljahr 2002/03 zum Schuljahr 2022/23 ist die Zahl der Privatschulen um 50 Prozent gestiegen, während sich im gleichen Zeitraum „die Zahl der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen um 24,0 Prozent“ verringerte. „Dementsprechend nahm der Anteil der Privatschülerinnen und -schüler erheblich zu“, teilt Destatis weiter mit: „Im Schuljahr 2022/23 ging knapp ein Zehntel (9,2 %) der Kinder und Jugendlichen, welche allgemeinbildende Schulen besuchten, auf Privatschulen.“ Der Anstieg nimmt dabei immer mehr Fahrt auf: Zwanzig Jahre zuvor waren es lediglich 6 Prozent, 1960 waren es nicht mal 3 Prozent – die Wachstumsgeschwindigkeit hat sich also mehr als verdoppelt.

Unklare Ursachen

Zu den Ursachen macht das Statistische Bundesamt natürlich keine Angaben, da diese nicht regulär abgefragt werden. Allerdings kann zur Kenntnis genommen werden, dass jüngste Umfragen aufzeigen, dass die Zufriedenheit mit den Schulen in Deutschland merklich sinkt (etwa laut ifo-Bildungsbarometer). Und schon vor über zehn Jahren zeigte sich in Hamburg anhand der als „Gucci-Protest“ bekanntgewordene Abstimmung, dass die Oberschicht nicht willens ist, ihre Kinder länger als unbedingt nötig mit dem als Unterschicht und Bildungsverlierer wahrgenommenen Teil der Bevölkerung zusammen beschulen zu lassen. Da aber die Zahl der Ausländerkinder, der Geflüchteten, ebenso wie jene der in prekären Verhältnissen lebenden Deutschstämmigen deutlich stärker wächst, als die Zahl der Oberschichtskinder, reduziert sich logischerweise auch deren Zahl an den öffentlichen Schulen. Hier scheint eine naheliegende Konsequenz zu sein, an die Privatschulen abzuwandern, die allein schon qua Schulgeld an der Pforte selektieren.

Bei den derzeitigen Dimensionen stellen die Privatschulen und -hochschulen noch kein substantielles Problem dar – sollte sich dieser Trend jedoch in der Zukunft ähnlich fortsetzen oder gar verstärken, ist es an der Politik, angemessen zu reagieren. Schon heute gibt es eine klare finanzielle Bevorzugung der Gymnasien – Schulen dagegen, die eigentlich viel mehr Förderung, zusätzliche Schulsozialarbeiter etc. nötig hätten, müssen dagegen sogar noch Stellenstreichungen und Finanzmittelkürzungen verkraften. Dabei hat die Rütli-Schule gezeigt, was angemessene Finanzierung bewirken kann. Zwar hat das funktioniert – hat aber nicht flächendeckend Schule gemacht. Da wundert es auch nicht, dass, wer es sich leisten kann, den öffentlichen Schulen den Rücken kehrt.


Quellen:

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/10/PD23_N054_21.html

https://www.datenportal.bmbf.de/portal/de/Tabelle-2.3.5.html#A1

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/schulabschluss-mehr-abiturienten-100.html

https://www.ifo.de/fakten/2023-08-30/ifo-bildungsbarometer-2023

https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/hamburger-elternaufstand-sieg-der-schul-separatisten-a-735276.html

https://www.spiegel.de/panorama/berlin-neukoelln-bezirk-muss-zahlreiche-soziale-angebote-reduzieren-oder-streichen-a-13aa23b8-4f3b-41f8-9cb6-d323997604e7

https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/schule-inklusion-sparen-100.html

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/kein-geld-mehr-fuer-caritas-projekt-respekt-coaches-100.html

 

20.10.2023

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