(ps) Der Gender Pay Gap, wörtlich etwa die „Geschlechter-Lohnlücke“, beschreibt statistisch die ungleiche Bezahlung von Mann und Frau im Arbeitsleben. Hier werden also die Löhne und Gehälter aller Frauen und aller Männer jeweils zusammengerechnet und verglichen. Das Statistische Bundesamt erhebt diese Zahlen seit 2006, auf europäischer Ebene gibt es seit 2018 hierzu Vergleichszahlen. Dabei überrascht es wenig, dass Frauen im Schnitt stets weniger verdienen, als ihre männlichen Kollegen. Doch die Statistik hat ihre Fallstricke.
Die Ergebnisse 2024/25
Es fängt mit einer guten Nachricht an: Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) habe sich die geschlechtsabhängige Lohnlücke im Jahr 2024 so stark verringert wie noch nie seit Beginn der Erhebungen. Durchschnittlich hätten die Frauen einen um 16 Prozent oder „um 4,10 Euro geringeren durchschnittlichen Bruttostundenverdienst als Männer“ und verdienen also statistisch 22,24 Euro pro Stunde, während Männer 26,34 Euro pro Stunde verdienen. Diese Lohnlücke von 16 Prozent sei im Vergleich zum Vorjahr um 2 Prozent gesunken: „Das war der stärkste Rückgang seit Beginn der Berechnungen im Jahr 2006“, teilt Destatis aktuell mit. Dies sei hauptsächlich auf eine „stärkere Entwicklung der Bruttomonatsverdienste (ohne Sonderzahlungen) von Frauen zurückzuführen“, deren Verdienste um 8 Prozent stiegen, während jene der Männer um 5 Prozent stiegen.
Diese Ergebnisse bezeichnet Destatis als „unbereinigten Gender Pay Gap“ – d.h., hier werden alle Einkommen zusammengerechnet, gemittelt und verglichen, unabhängig davon, ob es sich z.B. um Teilzeit- oder Vollzeitstellen (mit entsprechend unterschiedlichem Einkommen) handelt oder nicht. Da Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, und auch Unterbrechungen im Erwerbsleben durch z.B. Schwangerschaft, Kindererziehung oder Angehörigenpflege hinzukommen, ist diese Zahl mit 16 Prozent entsprechend hoch. Daneben gibt es aber noch eine zweite Zahl, den „bereinigten Gender Pay Gap“.
Eine Statistik bereinigt man, indem alle (statistisch greifbaren) Faktoren, die Teile der Lohnlücke durch andere Umstände erklären können, herausrechnet und am Ende nur Arbeitnehmer*innen mit „vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie“ vergleicht, wie Destatis erläutert. Es bleibt eine durch diese Methode nicht weiter erklärbare Zahl von 37 Prozent Verdienstunterschied, die sich dann in einer Lohnlücke von 6 Prozent zu Ungunsten der Frauen niederschlägt – der „bereinigte Gender Pay Gap“.
Bereinigter vs. unbereinigter Gender Pay Gap
Auf diese unbereinigte Lohnlücke beziehen sich bekannte Initiativen wie der „Equal Pay Day“, die sich u.a. für eine geschlechtergerechte Bezahlung in der Arbeitswelt einsetzen. Der namensgebende „Equal Pay Day“, zu deutsch „Gleicher-Lohn-Tag“, bezeichnet jenen Tag, bis zu dem hin die Frauen im Vergleich mit den Männern quasi unbezahlt arbeiten. Bei 16 Prozent ist dies der 27. Februar, im Vorjahr mit 18 Prozent war es der 7. März.
Doch Kritiker*innen – man darf sich wundern, wofür alles sich Kritiker*innen finden lassen – weisen gerne darauf hin, dass hier viel Lärm um nichts gemacht werde. Denn 6 Prozent Lohnlücke sei schließlich etwas ganz anderes als 16 Prozent Lohnlücke – und auf die 6 Prozent komme es ja an, denn nur hier werden Äpfel mit Äpfeln verglichen. Und das Ergebnis, also die 6 Prozent, seien dann „quasi nicht mehr der Rede wert“, wie es Alexandra Zykunov ironisch in ihrem aktuellen Buch „Was wollt ihr denn noch alles?!“ formuliert.
Gerne wird auch angemerkt, dass es im öffentlichen Dienst praktisch keine Lohnlücke gäbe, der öffentliche Dienst aber in der Statistik nicht mitberechnet werde – als würde die Situation in irgendeiner Form besser werden, weil man eine Branche außerhalb der freien Wirtschaft gefunden hat, die die Statistik abmildern könnte.
Den Relativismus auf die Spitze treibt Dr. Markus A. Hessler in einem Beitrag auf der Plattform der Arbeitgeber-Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH. Hier versteigt er sich zu der These, dass, könne man nur alle Faktoren (also auch statistisch nicht greifbare) bei der Bereinigung einrechnen, sich ein ganz anderes Bild zeige: demnach gäbe es überhaupt keine Lohnlücke und vielmehr „wäre es sogar möglich, dass Männer beim Gehalt benachteiligt werden.“ Solche gedankliche Akrobatik muß man erstmal schaffen. Immerhin gesteht Hessler aber zu, dass die häufigere Teilzeitanstellung und die Kinderbetreuung in Frauenhand „tatsächlich auf einer gesellschaftlichen Benachteiligung beruhen“ könne. Hier sieht er als Lösung die Notwendigkeit von „mehr Chancengleichheit durch Aufklärung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“
Diskriminierung oder eigener Lebensentwurf?
Mit der Debatte um die Verdienstdiskriminierung von Frauen kommt das Thema immer schnell auch auf die zugrundeliegende allgemeine Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft und speziell der Arbeitswelt. Für manche ist es das Normalste der Welt: „Weil sie häufiger in Teilzeit als in der Chefetage arbeiten, und das häufiger in sozialen als in technisch-industriellen Berufen, liegen die Frauen mit ihrem rechnerischen Durchschnittsstundenlohn niedriger als die Männer. Wie simpel das alles ist. Und wie maßlos es aufgeblasen wird“, schreibt Nikolaus Blome in einer Kolumne für Spiegel Online. Hier wird also nicht die Lohnlücke geleugnet oder wegrelativiert wie bei Hessler, sondern normalisiert.
Das hat auch Beate Hausbichler mal in einem Kommentar zur österreichischen – ähnlich gelagerten – Debatte ironisch pointiert: „Die Frauen sind halt schön blöd, dass sie nicht in IT-Betriebe gehen, sich ohne Geld um Kinder und Kranke kümmern und dafür bei der Lohnarbeit Abstriche machen.“
Für Blome sind die Frauen selber schuld, schließlich würden sie sich aus freien Stücken „unterschiedliche Berufe wählen“ und andere „Lebensentwürfe“ haben. Da seien unterschiedliche Einkommen das normalste der Welt. Mit „Gehaltsgerechtigkeit“ habe das alles also nichts zu tun – für Blome sei das „feministische Propaganda“. Aber auch wenn Blome davor lieber seine Augen verschließt: es gibt sie eben, die ganz reale, soziologisch greifbare Diskriminierung von Frauen, nicht zuletzt auch im Berufsleben.
Es fängt damit an, dass Frauen schon bei den Gehaltsverhandlungen zum Einstieg mit geringeren Löhnen angesetzt werden, und es schwerer haben, beruflich aufzusteigen – Stichwort „gläserne Decke“. Und tatsächlich sind Frauen häufiger in sozialen und anderen schlechter bezahlten Berufen zu finden – aber sind sie es, weil das nun mal ihr „Lebensentwurf“ ist, oder sind sie es, weil ihnen von klein auf gesellschaftlich nahegelegt wird, dass dies nun mal die Berufe für Frauen sind? Zudem sind meistens nur die sog. “Frauenberuf” auch z.B. mit Teilzeitmodellen usw. auf die Bedürfnisse der quasi doppelt belasteten Frauen wirklich gut eingestellt. Mithin arbeiten Frauen tatsächlich häufiger in Teilzeit – aber tun sie es, weil sie am Nachmittag Wein trinken und die Füße hochlegen wollen, oder weil sie sich noch um Haushalt, Einkauf, Kinder, Angehörige etc. kümmern müssen, weil es von ihnen als Frauen erwartet wird?
Verdeckte Diskiminierung
Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, was gemeint ist, wenn mit Blick auf den Gender Pay Gap und die statistische Auslegung desselben von „verdeckter“ Diskriminierung gesprochen wird. In der Tat sind 6 Prozent etwas anderes als 16 Prozent. Auch betont das Statistische Bundesamt, dass diese 6 Prozent eine „Obergrenze“ darstellen, die mutmaßlich noch geringer ausfallen würde, könne man weitere „lohnrelevante Einflussfaktoren“ wie „Schwangerschaft, [...] Geburt von Kindern oder [...] Pflege von Angehörigen“ mit einberechnen. Aber genau dies sind ja die Hauptgründe dafür, dass die „unbereinigte“ Statistik so hohe Zahlen ausspuckt.
Oder mit anderen Worten: mit der Bereinigung der Statistik werden auch Ursachen der Lohnlücke bereinigt, die in sehr vielen Fällen auf Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Frauen im sozialen, beruflichen Kontext beruhen. Die „bereinigte“ Statistik ist somit nicht etwa die „bessere“ oder aussagekräftigere Statistik. Sie vergleicht den Verdienst von Männern und Frauen in einer fiktiven, diskriminierungsfreien Umgebung – und kommt dann trotzdem nicht auf 0 Prozent. Die 16 Prozent (oder wie viel es dann auch immer im jeweiligen Jahr ist) der unbereinigten Statistik haben insofern ihre Aussagekraft und Berechtigung, als nur sie den ungleichen Verdienst und die Ungleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft aufzeigen.
Aber ganz unabhängig davon, mit welchen Zahlen man arbeiten möchte – es gilt, was auch Beate Hausbichler als letzten Satz wählte: „Wie und ob wir dieser Lohnkluft begegnen ist eine politische Haltung – dass es sie gibt, nicht.“
Quellen:
Destatis: „Gender Pay Gap sinkt 2024 im Vergleich zum Vorjahr von 18 % auf 16 %“, PM Nr. 056 vom 13.02.2025; online: www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/02/PD25_056_621.html
Destatis: „Gender Pay Gap“, o.A., o.D.; online: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html
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Uni Bielefeld: „Gender Pay Gap: Warum Frauen weniger verdienen als Männer“, Maria Berentzen, 02.03.2023; online: aktuell.uni-bielefeld.de/2023/03/02/gender-pay-gap-warum-frauen-weniger-verdienen-als-maenner/
Equal Pay Day: www.equalpayday.de
Femtastics: „Alexandra Zykunov über die Lügen hinter dem „bereinigten“ Gender Pay Gap“, 06.03.2024; online: femtastics.com/zeitgeschehen/feminismus/gender-pay-gap/
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH: „Lügen mit Statistik: Die Tricks beim Gender Pay Gap und der Armutsgefährdung“, Markus A. Hessler, 27.03.2015; online: insm.de/aktuelles/oekonomenblog/luegen-mit-statistik-die-tricks-beim-gender-pay-gap-und-der-armutsgefaehrdung
Der Spiegel (Online): „Der Equal Pay Day ist feministische Propaganda“, Nikolaus Blome, 04.03.2024; online: www.spiegel.de/politik/deutschland/gender-pay-gap-der-equal-pay-day-verkauft-die-leute-fuer-dumm-meinung-a-df330448-97b3-4b36-8ce9-c19d675b80b5
Der Standard: „Die ewige Mär von der ‚Gender-Pay-Gap-Lüge‘“, Beate Hausbichler, 23.10.2019; online: www.derstandard.de/story/2000110199037/die-ewige-maer-von-der-gender-pay-gap-luege
18.02.2025