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Wissenschaft und Politik

Medienkompetenz und Demokratie

Digitale Desinformationen bedrohen die Demokratie

Abiturienten im Medienunterricht (Symbolbild). Bild von standret auf Freepik.

Ein Forschungsteam hat die Daten der jüngsten PISA-Studie mit Blick auf die Medienkompetenz der Jugend ausgewertet und kommt zu ernüchternden Ergebnissen: viele Schüler*innen seien nicht in der Lage, „fake news“ von echten Nachrichten zu unterscheiden – mit Konsequenzen für die Demokratie.

 

(ps) Mit Donald Trump ist ein neuer Wind in die politische Landschaft gekommen. Zum einen erleben wir, vielleicht das erste Mal seit Kennedy, den Aufstieg eines charismatischen Herrschers – in Anlehnung an Weber – in einer westlichen Demokratie. Anders als Kennedy jedoch steht Trump alles andere als fest auf demokratischem Boden. Von seinem Team wurden „alternativen Fakten“ erfunden, und als fleißiger Verbreiter von „fake news“ bzw. Lügen – laut Washington Post über 30.000 in den vier Jahren seiner ersten Amtszeit – macht er einen demokratischen, fairen und sachlichen Diskurs über gesellschaftliche und politische Fragen praktisch unmöglich.

Zu dieser Gemengelage gesellt sich schon seit einigen Jahren, aber zuletzt mit zunehmender Intensität, eine Art fünfter Kolonne des Internets in Form von Bots, die fake news verbreiten und auf dieser Basis Stimmung für das eine oder andere politische Ziel machen. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass heute beachtliche Mengen der Beträge auf social media-Plattformen von Bots generiert werden – etwa bei den US-Präsidentschaftswahlen, im Ukraine-Krieg, im Vorfeld zum Brexit – und auch bei den Bundestagswahlen. Jüngst berichtete das Nachrichtenportal watson von einer „dramatische[n] Welle von Fake News auf Social Media durch russische Bots“ im Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl.

Um dieser Flut an fake news, die nun systematisch von Regierungen wie den sozialen Medien gleichermaßen Verbreitung finden, Herr zu werden, braucht es schon einen geübten kritischen Blick. Den haben selbst viele Erwachsene nicht – man erinnere sich nur an den hanebüchenen Unsinn, der zu Coronazeiten verbreitet und teilweise auch geglaubt wurde. Nun trifft man nicht selten auf die Meinung, dass die jungen Generationen, die ja „digital natives“ sind, die also mit dem Internet aufgewachsen und mitunter auch von ihm großgezogen wurden, dies schon bewältigen würden – eben weil sie Internet und Technik meist besser verstehen als ihre Eltern. Allein, technische Fähigkeiten sind eben etwas ganz anderes, als kritisches Denken. Und was auch immer Internet und social media für Effekte auf Mensch und Gesellschaft haben mögen, die Förderung kritischen Denkens gehört nicht dazu.
 

PISA-Studie: „Erheblicher Nachholbedarf“
 

Im Rahmen der jüngsten PISA-Studie von 2022 wurden die Jugendlichen auch zu ihren eigenen Medienkompetenzen und ihren Erfahrungen mit der schulischen Medienvermittlung befragt – mit Erkenntnissen, die in der Hauptveröffentlichung der Studie teilweise nicht enthalten waren. Ein Forschungsteam hat dies nun für Deutschland detailliert untersucht und kommt zu eher ernüchternden Ergebnissen. Während sich annähernd 70 Prozent der befragten 15-jährigen Jugendlichen sicher bei der Recherche von Informationen im Internet fühlt, sehen sich nur 47 Prozent „in der Lage, die Qualität der gefundenen Informationen fundiert zu beurteilen“, wie die TU München mitteilt. Im OECD-Durchschnitt seien dies immerhin 51 Prozent. Ferner würden nur 60 Prozent der Befragten die gefundenen Informationen durch Vergleichen verschiedener Quellen prüfen – im OECD-Durchschnitt machen dies 72 Prozent. Und etwa ein Drittel teile solche Informationen ungeprüft über ihre sozialen Medien.

Die deutschen Schüler*innen haben also nicht nur „einen erheblichen Nachholbedarf beim kritischen und reflektierten Umgang mit Informationen im Internet“, wie Prof. Samuel Greiff vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der TU München und Leiter der PISA-Studie in Deutschland mitteilt. Sie stehen auch im internationalen Vergleich schlechter da. „Die PISA-Studie unterstreicht, dass dieser Mangel dringend angegangen werden muss, um Jugendliche auf die Herausforderungen der digitalen Welt vorzubereiten“, führt Greiff weiter aus.

Problematisch zeigt sich zudem die Lage an den Schulen: bereits aus der Hauptstudie sei hervorgegangen, dass „die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland seltener als im OECD-Durchschnitt angeben, digitale Tools in ihrem Unterricht und bei den Hausaufgaben einzusetzen.“ Nun zeige sich ferner, dass „nur rund 60 Prozent der Jugendlichen sagen, dass digitale Medien an ihrer Schule zuverlässig funktionieren“ – im OECD-Durchschnitt seien es 71 Prozent. Auch fänden lediglich 46 Prozent der Schüler*innen die digitalen Medien im Klassenzimmer „leicht zugänglich“ – im Unterschied zu 67 Prozent im OECD-Durchschnitt.

Ebenfalls Thema war die Digitalkompetenz der Lehrkräfte aus Sicht der Schüler*innen. Lediglich eine knappe Hälfte der Befragten schätzten ihre Lehrkräfte dabei so ein, dass sie „die erforderlichen Kompetenzen verfügen, digitale Geräte im Unterricht zu nutzen“. Wiederum: im OECD-Durchschnitt glaubten dies 70 Prozent. Und 60 Prozent (OECD-Durchschnitt: 77 Prozent) der Schüler*innen „geben an, dass ihre Lehrkräfte offen dafür sind, digitale Medien im Unterricht zu nutzen.“ Dabei sei die schulische Seite der Digitalkompetenz durchaus wichtig: „Sowohl die digitale Kompetenz der Lehrkräfte als auch deren Offenheit gegenüber digitalen Medien kann die Entwicklung der digitalen Informationskompetenz von Schülerinnen und Schülern positiv beeinflussen“, so Greiff. „Lehrerinnen und Lehrer sollten deshalb dabei unterstützt werden, den Umgang mit online gefundenen Informationen als regelmäßigen Bestandteil des Unterrichts in verschiedenen Fächern zu integrieren.“
 

Auch andere Studien bestätigen den Befund
 

Im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2025 sind einige Studien erschienen, die sich ebenfalls mit der Medienkompetenz, hier mit Blick auf die fake news-Kampagnen, befassen. So hat etwa die Friedrich-Naumann-Stiftung eine Studie veröffentlicht, die sich schwerpunktmäßig mit den russischen und chinesischen Desinformationskampagnen befassen. Diese repräsentative Umfrage weise nach, „dass zahlreiche Desinformationsnarrative und ausländische Propaganda in Deutschland bereits Wirkung zeigen. Junge Menschen und Nutzer von TikTok sind dafür besonders anfällig“, so die Friedrich-Naumann-Stiftung.

Lediglich 44 Prozent der Befragten falle es – „nach eigener Einschätzung“ – leicht, fake news in den Medien zu erkennen. Ein ganz ähnlicher Wert wie in der PISA-Studie mit Blick auf die Fähigkeit, „die Qualität der gefundenen Informationen fundiert zu beurteilen“. Ferner zeige sich in der Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Blick auf die Akteure der „Verbreitung von Falschinformationen“ wie etwa Russland oder China, „dass junge Menschen dabei deutlich weniger misstrauisch sind als ältere“ und insbesondere „TikTok-Nutzer sind demnach deutlich weniger misstrauisch als die Konsumenten anderer Medien.“

Dies zeige sich auch bei Fragen zu politischen Sachverhalten. So werde der ohne den geringsten Zweifel „völkerrechtswidrige Angriffskrieg“ Russlands auf die Ukraine von „nur rund 78 Prozent der Befragten ‚voll‘ oder ‚eher‘“ als solcher gesehen. Bei den unter 29-jährigen seien es schon nur noch 69,7 Prozent und „[u]nter den TikTok-Nutzern sind es lediglich 66 Prozent.“ Aus Sicht der Friedrich-Naumann-Stiftung ein Beleg dafür, dass die „Propaganda wirkt“.

Besorgt zeigt sich auch die stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und Bundesjustizministerin a.D., Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Die Umfrage zeigt: Wir haben das Ausmaß und die Gefahr von Desinformation in unserer Gesellschaft noch immer nicht erkannt. Junge Menschen sind deutlich empfänglicher für Desinformation und TikTok spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich chinesische und russische Desinformation weiter in unserer Mitte ausbreitet. Sie ist eine Gefahr für unsere Demokratie“. Unter anderem müsse man „endlich einen verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Medien in Schulen unterrichten“, so Leutheusser-Schnarrenberger weiter.
 

Vor der Wahl – in der Schule
 

Das Problem der mangelnden Digitalkompetenz wird sich nicht von heute auf morgen lösen lassen. Zu den Akutmaßnahmen, die Schulen leisten können und sollten, wären verschiedene Unterrichtseinheiten im Vorfeld von Wahlen – zumindest für alle Schulklassen mit wahlberechtigten Schüler*innen. Dies könnten durchaus fachbezogene Themen sein; hier sind die Möglichkeiten ja fast unbegrenzt: im Fach Geschichte z.B. die Wahlen 1933 und ihre unmittelbaren Folgen wie Gleichschaltung und Rechtsverlust, in den Sprachen Wahlkampfrhetorik, und in den Fächern des Bereichs Wirtschaft/Gesellschaft/Politik wären auch durchaus lebensnahe Einheiten sinnvoll, wie etwa „Die aktuelle Parteienlandschaft Deutschlands“, in dem dann über Parteien recherchiert wird, die Ergebnisse präsentiert, die Quellen bewertet, neu recherchiert und die Unterschiede aufgezeigt werden – als ein Beispiel. Etwas allgemeiner könnten Plattformen wie correctiv.org oder die dpa-Faktenchecks dazu dienen, um Unterrichtseinheiten zum Thema „Desinformation und Quellenrecherche“ durchzuführen – auf beiden Plattformen gibt es auch ausreichend Material zur aktuellen Bundestagswahl.

Nicht zu vergessen sind die umfangreichen Informationsangebote der traditionellen Medien: etwa der deutsch-französische Sender arte strahlt online eine gut schultaugliche Dokumentation des ZDF zur Wahl und der aktuellen Lage in Deutschland aus. Auch schultauglich sind die Dossiers bei Phoenix und der ARD. Auf 3sat findet sich derzeit ein Schwerpunkt mit dem Thema „Demokratie unter Druck – Was sie bedroht und stärkt“. Der Deutsche Kulturrat hat eine ebenfalls gut unterrichtstaugliche Gegenüberstellung der Wahlprogramme zu Fragen der Kulturpolitik erstellt. Und selbstverständlich immer eine erste Anlaufstelle ist natürlich die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nebst ihrer Landesdependancen. Auch hier gibt es zu allen Land- und Bundestagswahlen hochwertige Beiträge. Bei der bpb findet sich ebenfalls eine Themenseite in einfacher Sprache.


Quellen:

Deutscher Bundestag: Inneres und Heimat — Antwort — hib 607/2024: „Ausländische Desinformation im Kontext der Bundestagswahl“, o.A., 19.09.2024; online: www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1019310

Friedrich-Naumann-Stiftung: „Studie: Desinformation unter jungen Menschen weit verbreitet“, o.A., 20.01.2025; online: www.freiheit.org/de/pressemitteilung/studie-desinformation-unter-jungen-menschen-weit-verbreitet nebst dort verlinkter Studie.

Hessenschau: „Wie Desinformation auf Social Media Wähler beeinflusst - und wie man sie erkennt“, Marvin Mendel, 09.02.2025; online: www.hessenschau.de/politik/bundestagswahl/bundestagswahl-2025-wie-desinformation-auf-social-media-waehler-beeinflusst-v1,btw25-desinformation-100.html

TU München: „Jugendliche unsicher bei der Beurteilung von Online-Informationen“, o.A., 27.1.2025; online: www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/jugendliche-unsicher-bei-der-beurteilung-von-online-informationen nebst dort verlinkter Studie.

Watson: „Russland-Bots und die Bundestagswahl: Putins Armee überschwemmt deutsche Medien“, Anna von Stefenelli, 08.02.2025; online: www.watson.ch/international/russland/319192143-bundestagswahl-russland-bots-ueberschwemmen-deutsche-medien

 

 

13.02.2025

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