HDI Berufe-Studie 2023
Arbeitsbelastung und schwindende Motivation
(ps) Die Arbeitswelt wandelt sich – und das nicht zum Guten. Die Bindung zum Arbeitgeber nimmt ab und der Arbeitsdruck steigt. Doch es gibt Auswege aus dieser Misere.
Das Versicherungsunternehmen HDI hat seine alljährliche Berufe-Studie vorgestellt. Das Meinungsforschungsinstitut Yougov befragte hierfür über 3.800 Erwerbstätige ab 15 Jahren – eine durchaus beachtliche Größe, denn als „repräsentativ“ gelten hierzulande bereits Studien mit mehr als 1.000 Teilnehmer*innen. Um so besorgniserregender sind jedoch die Ergebnisse dieser Untersuchung. Die Stimmung unter den Arbeitnehmer*innen ist so schlecht wie lange nicht mehr.
Auswirkungen des Fachkräftemangels
Zu den folgenreichsten Problemen gehört der Fachkräftemangel: „Der Fachkräftemangel ist inzwischen im Herzen der deutschen Wirtschaft angekommen und wird sich in den kommenden Jahren durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge noch verstärken. Das stellt Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen in puncto Leistungsfähigkeit, Prozesssicherheit und Kundenservice“, so Jens Warkentin, Vorstandsvorsitzender von HDI Deutschland. Die konkreten Auswirkungen sind schon heute spürbar: 31 Prozent der Befragten berichten von steigender Arbeitsbelastung aufgrund des Fachkräftemangels. 30 Prozent beobachten, dass Arbeitsstellen nicht zeitnah besetzt werden können oder offen bleiben, 14 Prozent sehen stockende Arbeitsabläufe. Interessanterweise sehen aber lediglich 6 Prozent der Befragten einen Ausbau der Digitalisierung in ihrem Unternehmen als Antwort auf den Fachkräftemangel.
Betriebsbindung und schlechte Vorgesetzte
Die Betriebsbindung ist heutzutage wieder ein großes Thema, nachdem besonders in den 1990er und 2000er Jahren „berufliche Mobilität“ das Modekonzept war – mit dem verschleiert wurde, dass langjährige Angestellte einfach mehr kosten, als alle paar Jahre neu eingestellte Arbeitskräfte. Die Früchte dieser Unternehmenspolitik werden aber schon seit Jahren geerntet: Ein ums andere Mal zeigen Studien auf, dass die Bindung an Beruf und Arbeitgeber für die Arbeitnehmer*innen immer weniger wichtig ist. So auch die HDI-Studie: „Zum ersten Mal [seit Beginn der Berufe-Studien 2019, Anm. d. Red.] sagen weniger als die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland, dass ihnen der Beruf viel bedeutet‘ (47 Prozent).“ Besonders ernüchtert zeigt sich die Alterskohorte in der Mitte des Lebens: Unter den 30- bis 44-jährigen stimmen nur etwas mehr als ein Drittel der Aussage zu, „dass einen Beruf auszuüben mir mehr bedeutet, als damit Geld zu verdienen“.
Ebenso ist die Kündigungsbereitschaft hoch: Im Schnitt jede*r Zweite sieht einen „schlechten Vorgesetzten“ als Kündigungsgrund, bei den unter 40-jährigen sogar 56 Prozent. Da hilft auch mehr Gehalt nicht: Dieses habe laut der Studie „nahezu keine Auswirkung“ auf die Kündigungsbereitschaft. Besonders hoch ist ist dieser Wert in der ohnehin relativ volatilen Branche „Werbung, Marketing, Medien“ mit 66 Prozent, die aufgrund eines schlechten Vorgesetzten kündigen würden. Im Bereich „Bau, Architektur, Gebäudetechnik“ liegt der Wert dagegen nur bei 40 Prozent.
Was die Unternehmen tun können
Die HDI-Studie zeigt jedoch auch Auswege aus dieser eher düsteren Lage. Laut Caroline Schlienkamp, Personalvorständin der HDI Group, zeige die Studie auch, „welche strategische Bedeutung Personalarbeit für den Geschäftserfolg hat. Erst wenn die Menschen spüren, dass ihr Unternehmen auf sie setzt, sie fördert und weiterentwickelt, entstehen starke Bindungen.“ So stimmen beispielsweise 58 Prozent der Angestellten der Aussage zu, ihr Beruf bedeute ihnen „sehr viel“ – wenn sie auch der Aussage zustimmten, dass ihr Arbeitgeber ihre „berufliche und persönliche Weiterentwicklung“ fördere. Bei jenen, die nicht gefördert werden, stimmten nur 37 Prozent der Aussage zu, ihr Beruf bedeute ihnen sehr viel. Ähnliche Werte gab es auch für die Aussage, der Beruf sei „sinnstiftend“ – eine Erkenntnis, die sich insbesondere die Pflegebranche zu Herzen nehmen sollte.
„Die Ergebnisse sollten Arbeitgeber als Chance begreifen“, betont Schlienkamp. „Unternehmen mit einer nachhaltigen und gezielten People-&-Culture-Strategie erarbeiten sich Vorteile im Wettbewerb um die besten Talente.“ Aus Sicht der Arbeitnehmer*innen seien die „beste[n] Maßnahme[n] für Unternehmen, sich im Wettbewerb um Personal durchzusetzen“ höhere Gehälter (47 Prozent) und die 4-Tage-Woche (30 Prozent). Unter diesen Vorzeichen können sich die Arbeitnehmer*innen auch am ehesten vorstellen, später im Rentenalter weiterzuarbeiten.
Das dies nicht ohne weiteres umsetzbar ist, steht außer Frage. Allerdings nimmt beispielsweise die gesellschaftliche Debatte um die 4-Tage-Woche zunehmend an Fahrt auf und ist für einige Branchen mittelfristig durchaus realistisch. Andere, wie die Versicherungsbranche, der auch HDI angehört, sehen die 4-Tage-Woche allerdings noch kritisch – der Arbeitgeberverband der Versicherungs-Unternehmen in Deutschland e.V. sagte erst im Mai dieses Jahres: „Die Vier-Tage-Woche steht in unserer Branche nicht auf der tarifpolitischen Agenda.“ Langfristig wird sich diese Position aber vermutlich wandeln: Immer mehr Studien zeigen international auf, dass reduzierte Arbeitszeiten bei gleichem Gehalt zu mindestens gleicher, teilweise sogar erhöhter Produktivität führen, zu weniger Burnout, zu insgesamt gesünderen und motivierteren Arbeitnehmer*innen. Nach einer mehrjährigen erfolgreichen Testphase in Island ist die 4-Tage-Woche dort inzwischen Normalität. Im Wettbewerb um die immer rarer werdenden Fachkräfte sollten diese Ergebnisse zu denken geben.
Quellen:
https://www.berufe-studie.de/2023_01-kernergebnisse.html
https://www.berufe-studie.de/2023_02-personalmangel.html
https://www.berufe-studie.de/2023_03-personalarbeit.html
02.10.2023