Unterricht und Schule

Hintergrund: Schule, Uni und ChatGPT

Das Ende des Lernens?

ChatGPT ist in aller Munde: Das Programm – ein sogenannter „Chatbot“ – vermag es, in Sekundenschnelle schriftliche Antworten auf praktisch alle Fragen zu geben. Und diese Antworten sind, anders als bei Vorgängerprogrammen, ziemlich gut. Gerade ein Vierteljahr auf dem Markt, bereitet ChatGPT bereits jetzt dem Lehrkörper an Schule und Universität Kopfzerbrechen – so sehr, dass bereits eine grundlegende Reform von Lehre, Unterricht, und vor allem Prüfungen gefordert wird. 

 

(ps) Plagiate sind spätestens seit Karl-Theodor zu Guttenberg ein weithin bekanntes Problem. Vor dem Internetzeitalter konnten Plagiator*innen darauf hoffen, dass Prüfer*innen nun mal nicht alle Texte, die es gibt, kennen können. Mit dem Aufkommen des Internets und der massenhaften Digitalisierung von Quellen aller Art boten sich ganz neue Möglichkeiten, aber praktisch zeitgleich kamen auch Programme auf, die Texte internetgestützt nach Plagiaten durchforsten konnten. Man könnte von den „goldenen Jahren“ der Plagiatsjäger sprechen – nie war es so schwierig, mit einem Plagiat durchzukommen, wie in den vergangenen 15 Jahren. Nun aber gibt es ChatGPT, ein Programm, das leidlich gute Texte zu beliebigen Themen produzieren kann – und nach nur wenigen Monaten auf dem Markt steht die Bildungsbranche angesichts dieser neuen, quasi grenzenlosen Möglichkeiten zu plagiieren vor einer ernsten Herausforderung.

Was macht ChatGPT?

Das von der Firma OpenAI entwickelte Programm ist ganz grundsätzlich gesehen ein Programm zum Chatten  – ein sogenannter Chatbot. Wer Fragen eintippt, erhält  Antworten, die in aller Regel passen und so wirken, als habe sie ein Mensch geschrieben. Dafür sind Algorithmen am Werk, die das Internet durchforsten und Antworten aus diesen Informationen generieren. Das Programm wurde dann noch geraume Zeit von Menschen „trainiert“ und korrigiert bis die Antworten ein zufriedenstellendes Niveau erreicht hatten. Jedoch sind nicht nur einfache Antworten fürs Chatten möglich – auch komplexe Texte von Gedichten bis Essays können erstellt werden, die wiederum auch für Hausaufgaben oder an den Unis für Hausarbeiten genutzt werden können. Die Texte bedürfen zwar meist einer Überarbeitung und sind auch nicht immer fehlerfrei, allgemein sind sie aber gut nutzbar. ChatGPT ist hier derzeit mit großem Abstand der Marktführer.

Und der Hype ist längst da: Das im November ‘22 veröffentlichte Programm hat bereits im Januar ‘23 über 100 Millionen aktive Nutzer*innen und sei damit laut Investmentbank UBS die „am schnellsten wachsende Verbraucheranwendung in der Geschichte“. Und wirklich viele – selbst von denen es nicht direkt zu erwarten wäre -  nutzen es schon: das Bundesbildungsministerium für die offizielle Antwort auf die Frage, ob es schulische Regeln für Chatbots geben solle, eine Stadträtin in Landau für eine Rede zum Stadthaushalt, ein kolumbianischer Richter für seine Urteilsbegründung.

Es wurde in journalistischen Artikeln gefragt, welche Partei ChatGPT wählen würde, ob mit dem Programm Geld zu verdienen sei, wie gut man damit komponieren könne, und es wurde gemeldet, dass ChatGPT die Stadt Gifhorn lieben würde. Da wundert es nicht, wenn Schüler*innen und Studierende das Programm selbstverständlich auch benutzen.

Lernvermeidung und Abhängigkeit

Der berühmte Linguist und Philosoph Noam Chomsky hat zuletzt mit einer vernichtenden Kritik zu ChatGPT auf sich aufmerksam gemacht. Im Interview mit EduKitchen macht er deutlich, dass das Programm eine Technik für „high-tech Plagiate“ sei und hauptsächlich „eine Möglichkeit, das Lernen zu vermeiden“ böte. Chomsky denke zwar schon, dass der Chatbot auch einen Nutzen haben könne, welcher das aber sein soll, sei nicht ganz klar. Auch dem Philosophieprofessor Steven D. Hales scheint langfristig „jedes Ergebnis, das nicht der vollständige Sieg der KI [Künstliche Intelligenz] ist“, schwer vorstellbar. Der Kampf gegen KI-Plagiate sei bereits verloren. In seinen Augen wirft dies ein völlig neues Licht auf die Frage, wer wir (bzw. der Einzelne) sein wollen. Wenn die KI mittelfristig alles – Texte schreiben, komponieren, dichten, programmieren usw. – mindestens genauso gut kann wie wir, wenn nicht besser, werden die Menschen auf ganz neu Weise vor die existentielle Frage geworfen, was es bedeutet, ein sinnvolles Leben zu führen.

Deutliche Kritik kommt auch von unerwarteter Seite: Die Youtuberin Alicia Joe warnt nachdrücklich vor den Gefahren von ChatGPT – obwohl sie qua Generationen-Klischee doch begeistert von der neuen Technik sein müsste. In ihrem Beitrag „Warum Gen Z nicht mehr selbst denken muss“ problematisiert sie die möglichen Folgen dauerhafter Nutzung von Programmen wie ChatGPT. Sie demonstriert die Leistungsfähigkeit von ChatGPT eindrücklich: Joe trägt Möglichkeiten und Vorteile des Programms vor, löst aber dann nach vier Minuten auf – diesen Vortrag hat ChatGPT geschrieben. Sie macht deutlich, dass man Spaß mit dem Programm haben könne, betont aber, dass es auch „erhebliche Nachteile“ habe.

Auf technologischer Seite bemängelt sie die Fehleranfälligkeit, die sogar bei Matheaufgaben gegeben ist, und Probleme mit dem Datenschutz. Viel gravierender seien aber die Effekte, die das Programm auf seine Nutzer*innen haben könne. So gibt Joe zu bedenken, dass ChatGPT keine kreativen Leistungen oder „innovative Perspektiven“ erbringt, sondern aus einer gewaltigen Datenmasse lediglich ein „Mittelmaß“ zusammenstellt. Wird das Programm regelmäßig genutzt, könne ferner eine Abhängigkeit entstehen, die dazu führe, dass die Nutzer „ihre eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse vernachlässigen“. So werden die Nutzer*innen zu Korrektor*innen von KI-generierten Texten und verlernen, selber zu recherchieren, zu überlegen, zu denken.

Das Ende des Lernens?

Kritiker*innen sehen mit Programmen wie ChatGPT bereits heute das Ende des Lernens in seiner bisherigen Form heraufziehen. Der US-amerikanische Philosoph Jeremy Weissman bezeichnet das Programm in einem Gastbeitrag für Inside Higher Ed als „Plage“, die unseren Geist/Verstand („mind“) bedrohen würde. Analysen mit noch sehr fehleranfälligen Detektionsprogrammen zeigen bereits einen hohen Missbrauchsgrad an Universitäten. In Australien kommt ein Dozent auf ein Fünftel seiner Studierenden, und die Professor*innen der Elite-Uni Stanford gehen ebenfalls von einer „großen Zahl“ von Studierenden aus, die das Programm nutzen. 

Weissman vergleicht ChatGPT mit einem Virus, der wie Corona in Windeseile die Welt erobert habe – doch das Ende könne anders aussehen: „Anstatt den Virus beherrschen zu lernen, kann es passieren, dass dieser uns beherrschen wird.“ Er sieht u.a. die Fähigkeit, selbstständig Texte zu schreiben bedroht, selber kreativ zu werden und kritisch zu denken. Mit den künstlich generierten Texten entsteht darüber hinaus eine ganz neue Art der Filterblase: Wer heute googelt, findet Ergebnisse mit sichtbaren Quellen, die noch selbstständig durchforstet werden müssen. Bei ChatGPT bekommen die Anwender*innen abgeschlossen wirkende Darstellungen ohne Quellenangaben – und eben ohne „innovative Perspektiven“. Gleichwohl, da sind sich alle einig, ist das Kind nun in den Brunnen gefallen und die Frage ist nunmehr, wie man mit der neuen Realität umgeht.

Neue Chancen für Pädagogik und Didaktik

Kritiker*innen und Befürworter*innen der neuen Technik sehen in dieser einen geradezu zwingenden Anlass, den bisher gängigen Werkzeugkoffer für Unterricht und Studium zu überarbeiten. Wenn Textaufgaben, Aufsätze, Essays, Hausarbeiten und so weiter von KI-Programmen übernommen werden können, mache es nur wenig Sinn, sie in ihrer bisherigen Form beizubehalten. Mithin entlarve ChatGPT auch den mangelnden Anspruch an Kreativität und Eigenleistung der bisherigen Aufgaben, wenn diese (noch: fast) genauso gut von einem Chatbot erledigt werden können. 

Zu den Vorschlägen zählen Bemühungen, mehr eigene Denkleistung und Synthesen, Kritik und Interpretation einzufordern, anstatt Wissen abzufragen bzw. wiedergeben zu lassen – also eine Qualitätsverbesserung der zu erbringenden Prüfungsleistungen. Ferner wird die Frage aufgeworfen, ob manche Leistungen wie Hausaufgaben, Aufsätze und Essays nicht sogar komplett gestrichen werden sollten. Auch Noam Chomsky sieht hier Handlungsbedarf, denn die Tatsache, dass die Studierenden so willig betrügen bzw. das Lernen vermeiden sei „ein Anzeichen dafür, dass das Bildungssystem scheitert“. 

ChatGPT an der Schule

Lehrkräfte an Schulen stehen bei Programmen wie ChatGPT vor besonderen Herausforderungen. Zum einen ist ein Lernziel an der Schule lernen zu lernen – was ChatGPT unterminieren kann. Auch praktisch das gesamte Hausaufgabenkonzept steht hier auf dem Prüfstand. Das wissen auch die Schüler*innen – einer sagt dem NDR: „Es hat natürlich das Potenzial, dass man sich auf die faule Haut legt und ChatGPT die Arbeit machen lässt.“ Sie sehen aber auch die Chancen: Man komme leichter an kompakte Informationen, außerdem könne man sich mehr auf Dinge wie das „kreative Arbeiten“ konzentrieren. Für Schulleiter Christian Bayer aus Rheinland-Pfalz ist jedenfalls klar: „Wir müssen uns anpassen“. Dafür ist aber Umdenken gefragt.

„Wenn Schule nicht den Lernprozess, sondern die Produkte priorisiert, die herauskommen, werden Schüler*innen keinen Grund haben, sich die Aufgaben nicht von Programmen erstellen zu lassen“, konstatiert Bob Blume in seiner Kolumne für das Deutsche Schulportal. Mithin vertiefe „outputorientiertes Lernen“ die Chancenungleichheiten: Wer keine helfenden Eltern oder Geld genug für Nachhilfe hat (eine „Milliardenindustrie“, wie Blume anmerkt), bekomme schulisch leicht Probleme. Das eigentliche Lernen sei von der Schule nach Hause verlagert worden, wo es „von einem rein didaktischen zu einem sozialen Problem“ werde. Daher sei „ein reflektiertes Lernen im digitalen Wandel“ vonnöten, „dass die Veränderung aufnimmt und in den Lernprozess einbezieht. Und ein Lernen, in dem das Produkt nicht mehr im Vordergrund steht, sondern der gemeinsame Lernprozess.“

Jeremy Weissman legt ebenfalls einen Schwerpunkt auf das Lernen in den Klassen. Seiner Meinung nach sei es wichtig, nun verstärkt Diskussion und Kommunikation unter den Schüler*innen in den Klassen zu fördern, und damit auch soziale Fähigkeiten. Ferner müsse man über den vermehrten Einsatz von schriftlichen und mündlichen Aufgaben im Unterricht nachdenken. Die Kieler Professorin für Wirtschaftsinformatik Doris Weßels betont in der ARD, dass sich der „gesamte Schreibprozess, nicht nur in der Schule“ ändern werde. Daher spricht sie sich dafür aus, diese „Technologie proaktiv in den Unterricht“ zu integrieren, anstatt in die „analoge Zeit“ zurückfallen zu wollen. Auch Weßels sieht eine Diskussion über die Art der Aufgabenstellungen als einen zentralen Punkt, befürwortet aber auch aktives, konstruktives Einbinden des Programms in den Unterricht.

Noch deutlicher wird Ute Schmid, Professorin für Kognitive Systeme an der Uni Bamberg. Gegenüber dem österreichischen Standard konstatiert sie: „Sprachmodelle wie ChatGPT machen einmal mehr deutlich, dass stupides Auswendiglernen und die Abfrage von derartigem Wissen an Schulen und Unis ein überholtes Konzept sind.“ Sie fordert nicht nur eine Diskussion über pädagogische und didaktische Mittel, sondern über die Frage, was wir überhaupt mit Bildung meinen. Mithin bedinge die Art der Prüfung die antrainierten Fähigkeiten. Mit anderen Worten: Wenn ein Computerprogramm Prüfungen besser lösen kann als ein Mensch, ist das kein Problem des Menschen, sondern eines der Prüfung bzw. der Prüfenden. Auch Schmid, ähnlich wie Weissman, rät zu mehr mündlichen Aufgaben bzw. Prüfungen – räumt allerdings auch ein, dass dies wohl zu höherem Personalaufwand führen werde.

Nicht das Ende, sondern der Anfang

ChatGPT hat schon jetzt eine neue Wirklichkeit im Bildungssektor geschaffen. Wie damit umgegangen wird, ist noch offen. In den USA haben einige Schulen bereits Verbote verhängt. Hierzulande überwiegen noch die positiven Stimmen, die die Herausforderung durch ChatGPT als gute Gelegenheit betrachten, das Bildungssystem endlich an die digitale Welt anzupassen und neue didaktische Wege zu gehen. Dass neue Wege gegangen werden müssen ist unstrittig. Denn eines ist klar: ChatGPT (und seine Geschwister) ist gekommen, um zu bleiben – und es ist nicht das letzte Programm seiner Art, noch wird es das beste Programm bleiben. 


Quellen:

https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/ChatGPT-Wie-beeinflusst-neue-Programm-die-Schulen,chatgpt132.html 

https://www.tagesschau.de/wissen/technologie/chatgpt-schulen-hausaufgaben-101.html 

https://deutsches-schulportal.de/kolumnen/chatgpt-das-ende-vom-lernen-wie-wir-es-kennen/ 

https://www.openculture.com/2023/02/noam-chomsky-on-chatgpt.html 

https://www.theatlantic.com/technology/archive/2022/12/chatgpt-ai-writing-college-student-essays/672371/ 

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/chatgpt-wendepunkt-im-akademischen-schreiben-100.html 

https://www.insidehighered.com/views/2023/02/09/chatgpt-plague-upon-education-opinion 

https://stanforddaily.com/2023/01/22/scores-of-stanford-students-used-chatgpt-on-final-exams-survey-suggests/ 

https://www.theguardian.com/australia-news/2023/jan/17/lecturer-detects-bot-use-in-one-fifth-of-assessments-as-concerns-mount-over-ai-in-exams 

https://www.heise.de/news/ChatGPT-KI-hilft-Richter-in-Kolumbien-bei-Formulierung-eines-Urteils-7483099.html 

https://www.trendingtopics.eu/chatgpt-bricht-rekord-fuer-am-schnellsten-wachsende-nutzerbasis/ 

https://www.riffreporter.de/de/gesellschaft/chatbots-chatgpt-bmbf-stark-watzinger-antwort-bundestag-nicole-gohlke-linkspartei-kritik 

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/ludwigshafen/landau-stadtraetin-laesst-rede-von-chatbot-schreiben-100.html 

https://www.derstandard.de/story/2000142960388/chat-gpt-forscherin-kritisiert-stupides-auswendiglernen-an-schulen-und-unis 

https://www.ingame.de/news/chatgpt-youtuberin-alicia-joe-nachteile-abhaengig-text-ki-video-hamburg-92037773.html 

https://www.youtube.com/watch?v=sLbmbs_w4h4 

https://quillette.com/2023/02/13/ai-and-the-transformation-of-the-human-spirit/ 

 

27.02.2023

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