(ps) Die Auftaktveranstaltung des Bürgerrats Bildung und Lernen hat Schüler*innen und Politiker*innen aus der ganzen Republik in Berlin zusammengebracht. Diskutiert wurden Probleme des Schulsystems aus Sicht der Kinder und Jugendlichen. Thema war auch die Mitbestimmung in Schulbelangen – viel zu selten werde die Sicht der Schüler*innen in die Debatten miteinbezogen.
Die Schule ist ein, wenn nicht der zentrale Punkt im Leben der Heranwachsenden. Alles ist von ihr beeinflusst: Sie ist ein Lernort, ein Lebensmittelpunkt, ein sozialer Treffpunkt – heute, wo Ganztagsschulen auf dem Vormarsch sind, mehr denn je. Da ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die Schüler*innen auch eine Meinung über das System haben, das sie täglich besuchen. Anlässlich des Bildungsgipfels (BiGi), Auftaktveranstaltung des Bürgerrats Bildung und Lernen, gab es Gelegenheit, diese zu äußern. Besonders positiv fiel die Analyse der Jugendlichen jedoch nicht aus.
"Es ist für uns als Bildungspolitiker und auch für die Lehrer und Schulleiter sehr wichtig, dass sie mit euch im Gespräch sind. Ich fand es zum Teil schon schockierend, zu sehen wie ihr Schule wahrnehmt", sagt Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, gegen Ende der Veranstaltung. Denn die Liste der Klagen war lang. "Lehrermangel, veraltete Lehrpläne, die mit ihrer Lebensrealität nur wenig zu tun haben, Mobbing und mangelnde Wertschätzung in der Kommunikation" sind nur einige der Probleme. Die Schüler*innen seien sich einig: "So wie es ist, kann es nicht weitergehen."
Ein wichtiges Anliegen war der Umgang "auf Augenhöhe". Die Jugendlichen bemängelten, "dass sie sich im Schulalltag oft nicht ernst genommen fühlen. Schließlich gehe es um ihre Zukunft." Dies betreffe vor allem die Lerninhalte und ihre Didaktik, bei der sie keine Mitsprache hätten. Doch auch bei allen anderen Schulfragen wünschen sie sich mehr Rücksichtnahme. "Wir wollen generell - nicht nur in der Bildung - mehr einbezogen werden", sagt Schülerin Romy aus Münster, die als Kinderbotschafterin des Bürgerrats tätig ist.
Ebenfalls forderten die Schüler*innen einen größeren Lebensbezug der Lerninhalte, die an der Schule vermittelt werden. Zwar gebe es Anstrengungen in diese Richtung – Prien verweist auf Schulprojekte, in denen beispielsweise "das Abschließen von Verträgen" erlernt wird. Generell ginge es in der Schule aber darum, "zu lernen, wie man sich selbst Dinge beibringt." Hier bleibt allerdings offen, ob die gegenwärtigen Lehrpläne angezeigt sind, dies optimal umzusetzen.
Trotz konstruktiver Diskussionen bleibt die Bilanz der Veranstaltung seitens der Schüler*innen ernüchternd. Zwar haben sie sich ernstgenommen gefühlt – "Dass sich wirklich etwas ändert, bezweifeln sie jedoch." Allerdings gibt es Gründe für etwas mehr Optimismus. Zwar ist die Schule ein träger Dampfer, von heut' auf morgen lässt sich schwerlich etwas ändern. Doch es gibt zahlreiche und immer mehr Projekte und politisches Bewusstsein für Schüler*innenbeteiligung – auf vielen Ebenen.
Beispielsweise hat in Thüringen das Bildungsministerium erst im August eine Vereinbarung mit der Stiftung Lernen durch Engagement unterzeichnet, die vorsieht, das "Lernen im Unterricht mit gesellschaftlichem Engagement" zu verbinden. Die Schüler*innen sollen "gemeinnützige Projekte im Stadtteil oder der Gemeinde" umsetzen und "sich handlungsorientiert mit sozialen, ökologischen, kulturellen oder gesellschaftspolitischen Themen, die sie bewegen", befassen.
Christine Achenbach-Carret, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik, macht sich für Klassenräte stark, in denen Themen angegangen werden, die das Leben der Schüler*innen betreffen: "Zum Beispiel der Zustand der Schultoiletten, das Essensangebot in der Cafeteria oder die Gestaltung des Schulhauses. Aber auch politische Themen, außerhalb des Schulalltags", erläutert sie in der SZ. Hier sollen dann konkrete Projekte erarbeitet und umgesetzt werden. Noch gebe es erst einige "Leuchtturmschulen" mit Klassenräten, doch die Resonanz ist positiv und es werden mehr.
Und in Berlin hat die Senatsverwaltung für Bildung das Projekt "Schüler*innenHaushalt" in die Wege geleitet. Hier erhalten Schulen, 125 in diesem Jahr, ein festes Budget, über dessen Verwendung die Schüler*innen selbst, im Rahmen demokratischer Prozesse, entscheiden können. "Wer sich auf diese Art gemeinsam für die schulischen Belange einsetzt, übernimmt Verantwortung für seine Schule und sorgt für ein aktives Schulleben", sagt die Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse.
Dennoch bleibt die Partizipation der Schüler*innen an Schulentscheidungen und Lerninhalten noch sehr abhängig von den einzelnen Schulen und den Bundesländern, in denen sie stehen. Wie wichtig aber eine aktive Einbindung der Schüler*innen in derlei Fragen ist, um sie für die Schule und das Schulleben zu aktivieren, zeigen andere Zahlen: Eine 2021 veröffentlichte Studie zeigt auf, dass die Freude am Lernen sinkt, je länger die Schüler*innen an der Schule sind – die Lerninhalte seien "zu faktenbezogen und nicht alltagsrelevant". Und laut einer Umfrage von 2020 geht nur ein Drittel der Schüler*innen gerne zur Schule.
Dabei ist die Lösung für diesen Befund Partizipation der Schüler*innen. So sieht es zumindest der Motivationsforscher Prof. Thomas Martens von der Medical School Hamburg. Die erste Grundbedingung für Selbstmotivation von Schüler*innen sei eine "gewisse Auswahlmöglichkeit" der Lerninhalte. Nur dann könne ein*e Schüler*in "wirklich Verantwortung übernehmen für sein Lernfeld."
Quellen:
https://www.presseportal.de/pm/158704/5324830
https://www.welt.de/wissenschaft/article108835441/Lustloses-Lernen-hat-einen-enorm-hohen-Preis.html
https://www.scoyo.de/magazin/lernen/lernen-mit-spass/artikel-studie-lernen-mit-spass/
https://www.dw.com/de/umfrage-sch%C3%BCler-haben-wenig-spa%C3%9F-am-lernen/a-54027957
https://bildung.thueringen.de/aktuell/engagement-lernen-staerkt-selbstwirksamkeit-von-schuelerinnen-und-schuelern
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-schule-mitbestimmung-klassenrat-interview-1.5593497
https://www.berlin.de/sen/bjf/service/presse/pressearchiv-2022/pressemitteilung.1185190.php
21.09.2022