(ps) Seit Beginn der Pandemie herrscht Ausnahmezustand an den Schulen. Mit heißer Nadel wird an der Digitalisierung gestrickt, und vieles ist gelungen. Trotz allem ist klar: Homeschooling und digitaler Unterricht ersetzen keinen geregelten Schulablauf. Es entstehen Lernlücken, die mit zunehmender Dauer der Lage anwachsen. Ob und wie diese Lernlücken geschlossen werden können, ist trotz verschiedener Ansätze noch unklar. Derweil verabschieden sich in den kommenden Wochen die ersten Jahrgänge ins Berufsleben, die seit über einem Jahr keinen geregelten Unterricht mehr hatten.
Bei der Vorstellung des Schul-Förderprogramms des Bundes im März konstatierte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek: "20 bis 25 Prozent der Schüler haben vermutlich große Lernrückstände – vielleicht sogar dramatische." Zwei Milliarden sind im Fördertopf, eine Milliarde Euro soll speziell dafür aufgewendet werden, diese Lücken zu schließen. Doch die Zeit drängt: ab Ende Juni verläßt bereits ein Jahrgang die Schulen, dem die Pandemie nicht nur in den Abschluß grätschte, sondern der über eine Jahr schon kein geregeltes Schulleben mehr kennt. Der bayerische Kultusminister Michael Piazolo erwartet für die kommenden zwei Schuljahre Nachholbedarf. Bei sei allerdings unklar, "wieviel exakt da nachzuholen ist", so Piazolo im BR.
Dieses Wissensdefizit wird auch auf dem "Deutschen Schulportal" beklagt. So gäbe es zwar eine Vielzahl von Einzeluntersuchungen, jedoch "keine bundesweiten Lernstandserhebungen". Eine solche Studie aus den Niederlanden hat ergeben, daß ein Lernrückstand festzustellen ist, der 20% eines Schuljahres entspricht. Für Kinder aus sozial schwächeren Familien ist der Rückstand noch größer. Eine im April veröffentlichte ifo-Umfrage hat allerdings klar gezeigt, daß der Lockdown sich negativ auf die Lernleistung der Schüler*innen auswirkt (wir berichteten: https://www.erfolg-im-beruf.de/vocatium-news/schuelerinnen-lernen-im-lockdown-weniger). "Besonders bedenklich ist", beklagt der Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, Ludger Wößmann, "dass 23 Prozent der Kinder sich nicht mehr als zwei Stunden am Tag mit der Schule beschäftigt haben."
Große Hoffnungen werden nun auf allerorten angesetzte "Sommerschulen" gesetzt, aber auch auf schulbegleitende Förderprogamme. Beispielsweise in Baden-Württemberg setzt man auf Lehramtsstudierende und freut sich über eine "unglaubliche Resonanz". Die Berliner Bildungsverwaltung setzt verstärkt auch auf soziale Angebote wie "Abenteuerspielplatz-Besuche", um neben den Lernlücken auch die psychischen Belastungen der Schüler*innen zu adressieren. Der Vorschlag der Kultusministerkonferenz, freiwillige, nicht auf die Schulzeit angerechnete Schuljahreswiederholungen anzubieten, findet derzeit noch keine Resonanz. Es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen sich als tragkräftig und zielführend erweisen, und welche weniger gut angenommen werden.
Quellen:
https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/foerderprogramm-corona-pandemie-was-hilft-gegen-lernrueckstaende/
https://osf.io/preprints/socarxiv/ve4z7
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/lernluecken-schulen-bw-lehramtsstudierende-sollen-helfen-100.html
https://www.berliner-zeitung.de/lernen-arbeiten/corona-lernrueckstaende-nur-erholte-schueler-koennen-stoff-aufholen-li.163654
https://www.br.de/nachrichten/bayern/piazolo-sommerschule-um-corona-defizite-auszugleichen,SZfj1jo
https://www.ifo.de/node/62918