Zwei Menschen von früher - doch hochaktuelle Vorbilder
Johann Peter Frank und Rudolf Virchow: Kämpfer für Gesundheit und Wohlstand

(hrs) Es ist ein alter und zugleich hochaktueller Streit: Welchen Einfluss sollen bzw. dürfen Mediziner auf die Politik ausüben? Wie lange ist die Einschränkung der Grundfreiheiten hinzunehmen, weil Ärzte vor einer zweiten Coronavirus-Welle warnen? Der Badenser Johann Peter Frank, geboren 1745, hat sich als Pionier für eine systematische „medicinische Polizey“ – heute sagen wir Sozialmedizin oder neudeutsch Public Health – den Ruf eines unbequemen Zeitgenossen eingehandelt. Das war vor über 200 Jahren. 

Genau 1779, zehn Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution, startete Frank seinen Angriff gegen das damalige Gesundheitswesen, wenn man von diesem überhaupt sprechen konnte. Nicht wenige Krankenhäuser, beschwerte er sich im Vorwort zur zweiten Auflage seines mehrbändigen Standardwerkes zu den Zuständen und zur Fortentwicklung des öffentlichen und privaten Lebens unter gesundheitlichen Aspekten, nicht wenige Krankenhäuser seien „mehr eine Quelle der Sterblichkeit, als des gesuchten Heils geworden“. Er kritisierte, dass bis Anfang des 18. Jahrhunderts das menschliche Leben nur wenig geachtet worden sei. 

Alexander von Humboldt, um nur einen Kronzeugen zu benennen, gestand, dass selten ein Mensch auf ihn einen solchen guten Eindruck gemacht habe wie Johann Peter Frank. Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens (BVÖGD) verleiht für besondere Verdienste als höchste Auszeichnung seit 1972 die Johann-Peter-Frank-Medaille. Wird sie eventuell in absehbarer Zeit dem Berliner Virologen Drosten zuerkannt? Sein Vorzeige-Klinikum Charité wurde übrigens 1709/10 errichtet, um für den Fall, dass eine damals in Osteuropa grassierende Pestepidemie Berlin erreichen sollte, über eine Krankenstation vor den Toren der Stadt zu verfügen. Der Ernstfall blieb aus.

Einsatz für moderne medizinische Strukturen

Seine Eltern wollten, dass Frank, Jesuitenschüler, Theologie studieren möge. Er widersetzte sich und brachte es zunächst zum Doktor der Philosophie, um im Anschluss in Heidelberg und Straßburg Medizin zu studieren. Nach einer Episode als Landarzt in seiner Heimat ernannte ihn 1774 der Fürstbischof von Speyer zu seinem Leibarzt. Zwei Jahre zuvor erhielt er bereits eine Beförderung zum „Hebammenmeister“. Franks Karriere führte weiter über einen Lehrauftrag in Göttingen sowie eine Professur in Pavia zum Generaldirektor des Medizinalwesens in der österreichischen Lombardei. Er wurde Professor in Wien, in Vilnius, und von dort avancierte er zum Leibarzt von Zar Alexander I. in St. Petersburg. An all seinen Wirkungsstätten setzte er sich für moderne öffentliche medizinische Strukturen und Lehrpläne ein. Heute gilt er als Begründer der öffentlichen Hygiene und des sozialmedizinischen Gesundheitswesens.

Im Todesjahr von Frank, 1821, erblickte Rudolf Virchow im pommerschen Dorf Schivelbein (heute: Swidwin/Polen) als Kind eines Fleischermeisters das Licht der Welt. In einem Lebenslauf, den er als junger Mensch niederschrieb, benannte er die Naturkunde, Geographie und Geschichte als seine Lieblingsfächer. Bereits im Alter von 22 Jahren wurde er zum Doktor der Medizin promoviert. Als 27jähriger Arzt nach Oberschlesien beordert, um die Typhusepidemie verelendeter Weber zu begutachten, kehrte er zum Radikaldemokraten bekehrt, nach Berlin zurück. Er forderte in seinem Bericht über die Zustände im Südosten des Landes „volle und unumschränkte Demokratie.“ Von da an begriff er die Politik als „Medizin im Großen“! Und er war überzeugt: „Staatsmänner bedürfen des Beistands einsichtsvoller Ärzte.“

Virchow beteiligte sich an den revolutionären Umtrieben von 1848 in der preußischen Hauptstadt. Nach dem weitgehend gescheiterten Aufstand formulierte er, bezogen auf sein Fachgebiet: „Der demokratische Staat will das Wohlsein aller Staatsbürger, denn er erkennt die gleiche Berechtigung aller an.“ Er fährt fort: „Die Bedingungen des Wohlseins aber sind Gesundheit und Bildung, und die Aufgabe des Staates ist es daher, die Mittel zur Erhaltung und Vermehrung von Gesundheit und Bildung in möglichst größtem Umfange . . . zu gewähren.“ Virchow nahm auch den Großgrundbesitz aufs Korn, hielt jedoch den Kommunismus „für Wahnsinn“.

„Bildung, Wohlstand und Freiheit" 

Rudolf Virchow machte Karriere als Arzt, Politiker und Naturforscher. Aufgrund seines politischen Engagements verliert er seine Stelle an der militärärztlichen Akademie in Berlin, wird aber bald darauf auf einen medizinischen Lehrstuhl an der Universität Würzburg berufen. Ein Auftrag, den gesundheitlichen Zustand der Bevölkerung im Spessart zu untersuchen, bestärkt ihn darin, dass „Bildung, Wohlstand und Freiheit (…) die einzigen Garantien für die dauerhafte Gesundheit eines Volkes“ seien. Ungeachtet (oder wegen) seiner klaren politischen Positionen wird er bereits 1856 auf eine für ihn geschaffene Professur an der Berliner Universität berufen. 

Die Politik fesselt ihn weiterhin. Von 1859 bis zu seinem Tode 1902 ist er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Er setzt sich – gleichsam als medizinisch-politischer Enkel von Johann Peter Frank – für den Bau von Krankenhäusern, für die Erhebung medizinischer Daten, für den Ausbau der öffentlichen Sozialfürsorge und für eine zentrale Wasserversorgung und -entsorgung in Berlin ein. Er wird 1861 Mitbegründer der liberalen Deutschen Fortschrittspartei, zieht mit ihr als Abgeordneter in den Reichstag ein. 

Seine dritte berufliche Leidenschaft neben der Medizin und Politik gilt der Ethnologie. Im Jahr 1866 gründet er die „Zeitschrift für Ethnologie“ und ist im Alter von 65 bis 67 Jahren an der Gründung des Ethnologischen Museums und des Völkerkundemuseums in Berlin beteiligt.

Ein Pionier der Politischen Bildung

Immer war Rudolf Virchow auch ein Mann der Bildung, ja, man könnte sagen, ein Vorkämpfer der Politischen Bildung: „In der Politik soll jeder gleichberechtigt sein“, betonte der überzeugte Demokrat, „und wenn unser Volk einmal ein politisches sein soll, so muss es auch politisch gebildet werden.“ Und nicht minder aktuell formulierte er an die Adresse von Despoten: Es müsse dazu kommen, „dass die öffentliche Gesundheitspflege … eine der höheren Sorgen unserer Staatsmänner wird als die Frage, mit wem man sich zuerst schlagen und wen man zuerst töten soll.“