Schreibkompetenz verschlechtert sich

"Eine fließende Handschrift bringt die Gedanken zum Fliegen."

In Zeiten von Schreibprogrammen, Messengerdiensten, Sprachnachrichten & Co. hat sie an Bedeutung verloren: die Handschrift. Aber während das bei vielen nur Schulterzucken auslöst, geht doch mehr verloren, als eine Kulturtechnik. Handschriftliches Schreiben fördert eine Reihe wichtiger Fähigkeiten, von Feinmotorik über Konzentration bis hin zur Gedächtnisleistung.

 

(ps) Es gibt wenige Kulturtechniken der Menschheitsgeschichte, die eine größere Bedeutung haben als die Schrift. Sie ermöglicht es, Gedanken zu fixieren und unverfälscht an die Zeitgenossen und die nächsten Generationen weiterzugeben. Und dabei hat sich über die Jahrtausende weniger gewandelt als man denken mag. Zu den ältesten erhaltenen Schriftstücken gehören Rechnungen, Kundenbeschwerden oder auch 3.500 Jahre alte "Deine Mutter"-Witze. In den vergangenen Jahrzehnten ist diese Kulturtechnik jedoch in Bedrängnis geraten: Die Allgegenwart von Computern, Smartphones und ähnlichem hat die Handschrift praktisch auf die Unterschrift reduziert – alles andere kann digital erledigt werden. Dies kommt jedoch zu einem Preis.

Motorische Probleme

Wie eine aktuelle Studie des Schreibmotorik-Instituts in Heroldsberg und dem Verband für Bildung und Erziehung (VBE) aufzeigt, kommen mit dem Verlust der routinierten Handschrift zunehmend "schreibmotorische Probleme" unter den Schüler*innen auf. Die Ursachen werden bei "mangelnden Kompetenzen in der Motorik und Koordination" sowie "verringerter Konzentrationsfähigkeit" gesehen, aber auch beim "häufigeren Umgang mit digitalen Medien". Ursache und Wirkung sind miteinander verknüpft – Schüler*innen mit schreibmotorischen Problemen können handschriftliches Schreiben heute vermeiden und enthalten sich so das nötige Training vor. Wie alle feinmotorischen Übungen trägt aber händisches Schreiben zu wichtigen kognitiven Entwicklungen bei.

"Die Vorläuferfertigkeiten für das Handschreiben - insbesondere die motorischen Fähigkeiten - erlangen und verbessern Kinder, indem sie beispielsweise malen, basteln, handarbeiten, musizieren oder handwerken. Sämtliche Aktivitäten, bei denen Kinder sich bewegen oder die Hände benutzen, spielen eine Rolle", betont der Deutsche Verband Ergotherapie (DVE) in seiner Mitteilung zur Studie. Das händische Schreiben baut auf diesen Fähigkeiten auf und habe "mehr Auswirkungen als allgemeinhin bekannt ist", führt der DVE weiter aus. "Handschreiben ist bereits Teil des Lernens, beeinflusst die Qualität von Lesen, Rechtschreibung und Textverständnis. Wie gut ein Kind mit der Hand schreiben kann, hat maßgeblichen Einfluss auf seine kognitive Entwicklung. Alles zusammen wirkt sich auf den schulischen Erfolg aus."

"Handschreiben macht schlauer"

So sieht es auch Marianela Diaz Meyer, Leiterin des Schreibmotorik-Instituts, in einem Interview mit "nordbayern": "Üben wir diese koordinierten Abläufe [des Schreibens] aus, wird ein neuronales Feuerwerk gezündet, weil mehr als 30 Muskeln und 17 Gelenke koordiniert werden, indem zwölf Gehirnareale aktiviert sind." Und dies habe messbare Folgen: "Handschreiben macht einfach schlauer. Es ist wissenschaftlich belegt: Das Schreiben von Hand unterstützt nachhaltig das Lesen, die Rechtschreibung, die Logik, die Kreativität und die Merkfähigkeit." Dies beschreibt auch Moritz Daum, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich, der an der Studie nicht beteiligt ist: "Der motorische Kortex im Hirn steuert die Feinjustierung der Handbewegungen. Sprachliche Prozesse sind ebenfalls eingebunden, da Sprache zu Papier gebracht wird. Dazu kommen Vorstellungskraft, Kreativität, Rechtschreibung und Erinnerungsvermögen."

Zusätzlich verschlechtert hat sich die Situation durch die Auswirkungen der Coronapandemie. "Das Ergebnis [der Studie] ist alarmierend", sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. "Kinder und Jugendliche, die schon vorher Schreibschwierigkeiten hatten, wurden in der Pandemie weiter
abgehängt. Eine Ursache hierfür ist die personelle Unterdeckung, unter der Schulen seit Jahren leiden. [...] Die notwendige individuelle Förderung, die auch im Schulgesetz verankert ist, kann deshalb nicht mehr geleistet werden." Zwar ist digitaler Unterricht immer noch besser, als keiner – hat aber ohne Handschreibförderung neue Probleme. So hätten Neurowissenschaftler "bei Gehirnscans entdeckt, dass beim Tippen viel weniger Hirnaktivität registriert wird, weil es sich
dabei um die immer gleiche Bewegung handelt, egal ob man ein A oder S tippt."

Wie sich die Lage des händischen Schreibens an den Schulen weiterentwickeln wird, ist derzeit schwer abzuschätzen. Zwar gibt es Programme und Projekte zur Förderung von "Handschreiben und Schreibmotorik", etwa im Rahmen des Erasmus+ Projekts. Auf breiter Front fehlt es jedoch schon heute an Deutschlehrer*innen und der Lehrkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Der ohne Zweifel dringend nötige Ausbau der Digitalisierung trägt ebenfalls nicht dazu bei, mehr von Hand zu schreiben. Und selbst Schreibmotorik-Institut und VBE schließen ihre Mitteilung zur Studienveröffentlichung mit einer offenen Frage: "Wie können wir dem Thema Handschreiben auch im Unterricht einen angemessenen Stellenwert einräumen?"


Quellen: 

https://www.schreibmotorik-institut.com/images//PK/VBE-SMI-Massive_Probleme_beim_Handschreiben_nach_Corona_2022.pdf 

https://www.nordbayern.de/region/erlangen/handschreiben-macht-schlauer-1.11715190 

https://www.bernerzeitung.ch/von-hand-schreiben-macht-schlau-528603835082 

https://www.presseportal.de/pm/106910/5303006 

https://www.businessinsider.de/wissenschaft/archaeologen-haben-die-aelteste-kundenbeschwerde-der-welt-gefunden-sie-ist-herrlich-witzig-2018-11/ 

https://www.vice.com/de/article/53nxkz/deine-mama-ist-so-haesslich-die-geschichte-der-deine-mutter-witze 

 

Titelzitat: Cornelia Funke, Autorin
 

 

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